am 08.02.2024
Leo, am 29.02.2024 ist dein letzter Tag hier in der Firma Kögel, da für dich die Freistellungsphase der Altersteilzeit beginnt. Mit welchem Gefühl gehst du?
Der Druck ist immer da, egal, ob viel oder wenig Arbeit da ist. Diese Drucksituationen werden von vielen unterschätzt. Ich bin froh, dass ich da nun herauskomme. Meine Nachfolge ist gut geregelt. Wir haben ein kompetentes und gut geschultes Betriebsratsgremium incl. Nachrücker. Der bisherige Stellvertreter hat einen Großteil meiner Aufgaben bereits „übernommen“ und seit einem halben Jahr haben wir zusätzlich ein weiteres Betriebsratsmitglied freigestellt. Ich bin überzeugt, es läuft gut weiter, da die beiden schon mittendrin sind in den Betriebsratsführungsaufgaben, und wir auch viel über Ausschussarbeit machen, so dass das komplette Gremium mit eingebunden ist. Ich selbst freue mich auf meine Freistellung, insbesondere da ich dann mehr Zeit für meine drei Enkel, für unsere Hobbyranch und fürs Radeln habe. Gewerkschaftlich werde ich weiter aktiv bleiben, in der IG Metall Delegiertenversammlung, der ich schon 30 Jahre angehöre und im DGB-Kreisvorstand Günzburg.
Bitte erzähle uns doch die wichtigsten Stationen deines Arbeitslebens!
1976 begann ich meine Lehre als Stahlbauschlosser hier in der Firma. Da hießen wir noch Kässbohrer. Seit 1993 (nach dem Verkauf an die Firma Kögel) war ich im Betriebsrat und ab 1998 freigestellter Betriebsratsvorsitzender.
2004 fand die erste Insolvenz unserer Firma statt, 2009 folgte die zweite Insolvenz. Wir arbeiten in einer zyklischen Branche, deshalb haben wir schon einige Kurzarbeitsfasen erlebt und mitgestaltet. Worauf wir stolz sind, ist, dass wir es durchgesetzt haben, dass trotz zweier Insolvenzen immer noch eine Tarifbindung zwar mit Abweichungen über einen Werktarifvertrag aber mit Rechtsanspruch incl. Nachwirkung auf Tarifbindung besteht.
Ich bin seit 24 Jahren Arbeitsrichter, seit 15 Jahren am Landesarbeitsgericht München. Außerdem engagiere ich mich seit 30 Jahren als Mitglied in der IG Metall Delegiertenversammlung. 1995 beteiligten wir uns als Betrieb am großen IGM Bayernstreik. 2010 hielten wir zwei Wochen rund um die Uhr, eine Mahnwache vor dem Betriebstor, wegen drohender Werksschließung, damals wurde schon begonnen, die Anlagen im Werk abzubauen. Was durch den Zusammenhalt unserer Belegschaft und das Instrument einer einstweiligen Verfügung gestoppt werden konnte. Damals organisierten wir, um das Werk zu retten, auch eine große Demo in Jettingen mit ca 1000 Menschen aus der Region und unserer Beschäftigten, einschließlich einer Resolutionsübergabe an die Altgesellschafter.
Als BRV habe ich viele aktive und ehemalige Kollegen und Kolleginnen auf ihrem letzten Weg begleitet. Ich war auf sehr vielen Friedhöfen. „Das trifft dich sehr“ gehört aber aus meiner Sicht, auch zur Aufgabe eines Betriebsratsvorsitzenden.“
Wie kamst du eigentlich zum Betriebsrat?
Wie vorher erwähnt wurde die Nutzfahrzeugsparte der Firma Karl Kässbohrer 1993 an die KÖGEL AG verkauft. Bis dahin wurde für uns betriebsratsmäßig alles vom Ulmer Kässbohrer Betriebsrat geregelt. Nun wechselten wir vom Baden-württembergischen Tarifvertrag auf den bayerischen Metalltarif. Vieles musste geklärt werden. Im Grunde war der Betriebsübergang der Anlass für die Gründung eines Betriebsrats. Da ich von Haus aus immer schon sozial engagiert war, habe ich mich dafür aufstellen lassen, wurde auch gewählt, und so bin ich in die Betriebsratsarbeit hineingewachsen. Was für die Tätigkeit unseres neu gewählten Betriebsrats wichtig war, dass wir von Anfang an eine super Betreuung der IG Metall Verwaltungsstelle Neu Ulm – Günzburg erhielten.
Was war deine schlimmste Erfahrung in deiner Zeit im Betriebsrat?
Die erste Insolvenz konnten wir einigermaßen gut regeln. Dann aber kam bereits fünf Jahre später die zweite Insolvenz. Ein Drittel des Personals wurde in diesem Zusammenhang gekündigt. Es traf auch langjährige Kollegen. Und gleichzeitig gingen wir in eine sehr unsichere Zukunft, da bei der Übernahme aus der Insolvenz, durch Herrn Humbaur, kaum Aufträge vorhanden waren, und wir über Monate fast zu 100 % in Kurzarbeit gehen mussten, aber dadurch 443 Arbeitsplätze erhalten konnten. All das war sehr hart, aber das damalige Übernahmeangebot von Humbaur war in der Situation das Beste. Andere Konzepte hätten einen viel größeren Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge gehabt.
Zu allen Zeiten war uns als Betriebsrat wichtig: Kündigungen vermeiden!
Gab es denn auch die beste Erfahrung?
„Das Highlight damals war schon, dass wir 2010 verhindern konnten, dass der Standort geschlossen wurde.“
Also wurde durch euren Einsatz als Betriebsrat aus dem schlimmsten Erlebnis letztendlich auch die beste Erfahrung?
Ja. Und sehr positiv war der Zusammenhalt der Belegschaft und des Betriebsratsgremiums. Damals konnten wir sogar durchsetzen, dass die ausgelernten Azubis entgegen ganz anderer Planungen doch übernommen wurden. „Sie sind bis heute hier im Werk tätig!“
Wo hast du dir denn Hilfe oder Unterstützung geholt für deine Arbeit?
Den meisten Rückhalt gab mir eindeutig die Belegschaft – und das Betriebsratsgremium. Wir hatten immer eine sehr gute Wahlbeteiligung bei den Betriebsratswahlen und auch sehr gute Ergebnisse. Und außerdem wäre ohne die IG Metall vieles nicht möglich gewesen. Gerade bei Auseinandersetzungen mit dem Arbeitgeber, wie bei tariflichen Schlichtungen, Einigungsstellen- und Beschlussverfahren.
Welche Tipps würdest du Neueinsteigern im Betriebsrat geben?
Schulungen machen und sich damit das nötige Handwerkszeug aneignen. Und erfahrenen Betriebsratsmitgliedern zuhören und Fragen stellen. In der Betriebsratsarbeit ist viel Erfahrungssache. Aber auch das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen und externe bzw. gerichtliche Verfahren nur anstrengen, wenn gar nicht mehr vorangeht.
Herzlichen Dank Leo, für dieses Gespräch und für viele andere, die mir immer sehr wertvoll waren! Dir alles Gute für deinen neuen Lebensabschnitt.
Martina Berndt- Hoffmann, Betriebsseelsorge Iller- Donau