Gespräch mit Paul Hartmann, langjähriger Betriebsrat bei Same-Deutz-Fahr in Lauingen

Lieber Paul, seit einigen Wochen erst bist Du in Rente. Dein Berufsleben ist Dir daher noch frisch in Erinnerung. Zuletzt warst Du freigestellter Betriebsrat. Was hast Du denn ursprünglich gelernt?

PH: Ich hatte Elektroinstallateur gelernt.

In der Firma, in der Du zuletzt gearbeitet hast?

PH: Nein, gelernt habe ich in einem kleinen Betrieb. Nach meiner kurzen Bundeswehrzeit und ca. 3 Jahren in einem größeren Elektrobetrieb hat der Mähdrescherhersteller Fahr 1980 Mitarbeiter gesucht. Ich dachte, probier’s mal, und habe mich als Maschinenschlosser beworben mit der Prämisse, irgendwann als Fahrzeugelektriker arbeiten zu können. So habe ich dann an der Mähdrescher Montagelinie angefangen.

Und gleich in die Gewerkschaft?

PH: Ich bin erst nach einem Jahr eingetreten, weil mich ein Betriebsratsmitglied angesprochen hat. Als damals die Forderung nach einer 35 Stundenwoche stand, trat ich aus der IG Metall aus.  Ich dachte damals, das könne man sich nicht leisten, weil die Arbeitgeber sich die Kosten durch Arbeitsverdichtung wieder holen. Im nach hinein war die 35 Stundenwoche richtig.

Du hast dann gleichsam einen zweiten Beruf gelernt, den des Betriebsrats.

PH: Ja, das war vor 27 Jahren.

Wie kam es dazu?

PH: Ein Kollege hat mich gefragt, ob ich nicht kandidieren will. Ich hatte mich immer schon für Kollegen*innen eingesetzt, auch gegenüber den Vorgesetzten. Bei der Frage, „Du, wir suchen einen Kandidaten für den Betriebsrat“, habe ich ja gesagt. Ich bin dann auch gleich beim ersten Mal mit einem guten Wahlergebnis gewählt worden.

Wie ging es Dir dann als neuer Betriebsrat?

PH: Es war schwierig, weil gespart werden musste. Ich konnte am Anfang nur an wenigen Schulungen teilnehmen. Herauszufinden, wann man als Betriebsrat von Kollegen*innen oder der Geschäftsleitung für deren Zwecke missbraucht wird, war ein längerer Lernprozess.

Hast Du Dich als Arbeiter auf Augenhöhe gefühlt mit den Geschäftsführern?

PH: Am Anfang nicht, später dann als freigestellter Betriebsrat mehr. Mit den Geschäftsführern, den Konzernvertretern, den Eigentümern aus Same/Italien an einem Tisch zu sitzen, das war schon eine andere Welt.  Aber es hat mich auch motiviert, wenn Erfolge bei den Verhandlungen erzielt wurden. Natürlich hatte ich auch einige schlaflose Nächte während meiner Betriebsratszeit, wenn harte Verhandlungen zu führen waren etwa über Personalabbau, Fusionsverträge, Zusatztarifverträge oder schwierige Betriebsvereinbarungen.

Was hat Dir Kraft gegeben in Deinem Einsatz als Betriebsrat?

PH: Natürlich der Erfolg, wenn wir etwas Positives für die Kollegen* innen und den Betrieb mit der Geschäftsleitung ausgehandelt haben. Wobei hier nicht immer ein Kompromiss möglich war, manchmal mussten wir fest zusammen stehen und sagen, so geht das nicht. Bei all den Verhandlungen sind das Betriebsratsgremium und der Vertrauenskörper ein wichtiges Instrument. Erfolg hat ein Betriebsrat erst, wenn alle zusammenstehen. Wichtig ist aber auch zu wissen, dass Kollegen*innen, IG Metall und auch die Betriebsseelsorge hinter dem Betriebsrat stehen.

Welche Rolle spielt für Dich die Gewerkschaft?

PH: Eine ganz wichtige Rolle. Ich war über 20 Jahre Vorsitzender der gewerkschaftlichen Vertrauensleute im Betrieb. Die Gewerkschaft war auch in schwierigen Zeiten immer ein wichtiger Berater und Helfer für den Betriebsrat.  Durch die Gewerkschaft spürt man, ich bin nicht allein, wir sind eine solidarische Gemeinschaft.

Hattest Du mal Zweifel, ob Betriebsrat für Dich das Richtige ist?

PH: Sicher, manchmal schon, als es bei uns um Personalabbau ging. Aber ich habe viel Rückhalt erfahren bei der Gewerkschaft, bei Kollegen*innen, beim Betriebsrat, bei der Betriebsseelsorge. Und, was mir sehr geholfen hat, ich habe in den Schulungen viel gelernt, etwa Dinge mal von der anderen Seite zu sehen, umzudenken, aus verschiedenen Perspektiven zu denken. Wichtig ist auch die Unterstützung durch die Familie. Vor meinem „Ja“ zur Freistellung, habe ich diesen Schritt mit meiner Frau besprochen, sie meinte, „ich traue dir das zu“.

Schulungen gehören zur Betriebsratsarbeit.

PH: Ja, sie gehören zum Beruf des Betriebsrats, wie Du es gesagt hast, unbedingt dazu. Auf was muss ich achten als Betriebsrat, was muss ich einfordern, welche Rechte haben wir, wie gehe ich mit  Konflikten um, der Austausch mit Kollegen*innen aus anderen Betrieben: dafür braucht es Schulungen. Ich bin eher der Praktiker als der Büromensch. Aber auch da habe ich einiges dazu gelernt. Als es mit der Arbeit an Computern angefangen hat, habe ich viel von meinen Söhnen gelernt. Betriebsratsarbeit umfasst eine breite Palette an Aufgaben. Mir hat sie wohl auch deswegen Freude gemacht. Als Betriebsrat hast du Rechte, aber auch Pflichten. Das kannst du nur auf Fachschulungen lernen.

Ihr habt etliche jüngere Kollegen*innen für den Betriebsrat und die Gewerkschaftsarbeit gewinnen können. Da beneiden Euch so manche.

PH: Das hat aber auch viele Jahre gedauert. Der Versuch, sie für den gewerkschaftlichen Vertrauenskörper zu motivieren, war nicht immer leicht. Zum Beispiel hat eine engagierte Kollegin andere jüngere Kollegen*innen mit überzeugt, so dass nun mehrere jüngere Vertrauensleute gemeinsam aktiv sind. Wie ich damals, müssen sie lernen, „wenn du auf die Schnauze fällst, wieder aufstehen und weitermachen“.

Wie wirbst Du denn für den Betriebsrat, für die Gewerkschaft?

PH: Ich sage ihnen, dass es um die Übernahme von Verantwortung geht, darum, auf Kollegen*innen zuzugehen, und dass ich ihnen das zutraue. Ich weiß ja auch um meine eigenen Defizite am Anfang meiner Betriebsratsarbeit. Und bei all dem bleibt, Betriebsrat ist ein Wahlamt, man hat damit eine ehrenamtliche Funktion. Gute Betriebsratsarbeit bedeutet gleichsam unentgeltlich etwas zu tun. Darum ist es nicht leicht,  Mitstreiter*innen für den Betriebsrat oder die Gewerkschaft zu gewinnen.

Ihre Zahl nimmt zu, Betriebe ohne Betriebsrat. Wie beurteilst Du diese Entwicklung?

PH: Einen Abteilungsleiter einer größeren Firma hatte ich einmal gefragt, warum sie keinen Betriebsrat hätten. Er antwortete mir, ich benötige keinen Betriebsrat, ich kläre das mit den Mitarbeiter*innen selbst. Meiner Meinung nach funktioniert das auf Dauer nicht, Vorgesetzte können nicht neutral sein. Und so steht ein Kollege, eine Kollegin allein gegen die Firma oder den Vorgesetzten. Ein Kampf lohnt sich immer, aber ohne Betriebsrat keine Chance.

Schwierige Kämpfe hattet ihr. Was waren denn schöne Momente für Dich in Deiner Betriebsratszeit?

PH: Wo soll ich anfangen? Es gab viele Kämpfe und Verhandlungen. Gut war es zum Beispiel, dass wir im Zuge der Fusion mit Same für die Mähdrescher und Traktoren in Lauingen eine Übergangslösung gefunden haben in Zusammenarbeit mit der IG Metall und der Geschäftsleitung.

Oder einmal, als es bei Verlagerungen um Personalabbau ging, konnten wir zusammen mit der Geschäftsleitung diesen sozialverträglich gestalten.

Eine wichtige und letztlich erfolgreiche Verhandlung mit dem Konzern und der IG Metall liegt noch nicht so lange zurück, es ging um den Mitarbeiterbeitrag zum Werksneubau.

Noch ein Rat für neue Betriebsräte?

PH: Ein Betriebsrat soll objektiv und gerecht gegenüber allen sein, Kollegen*innen bei Problemen helfen, aber auch mal, wenn sie im Unrecht sind, darauf hinweisen. Als Betriebsrat sollst du an Schulungen teilnehmen. Hier lernst du alles über die Gesetze der Arbeitswelt, aber auch den Umgang mit Menschen. Ein Betriebsrat sollte kritikfähig sowie kompromissfähig sein.

Danke, Paul, für das Gespräch!

 

Das Gespräch wurde geführt mit Thomas Hoffmann, Betriebsseelsorger Donau-Ries

 

 

Gespräch mit Paul Hartmann, langjähriger Betriebsrat bei Same-Deutz-Fahr in Lauingen